Deutsche Regierungskrise: Die Hysterisierung der Politik

Nr. 27 –

Seit dem Wochenende läuft bei der Fussballweltmeisterschaft in Russland die K.-o.-Runde mit viel Spektakel. Nicht mehr mit dabei ist allerdings der überraschend ausgeschiedene Titelverteidiger aus Deutschland. Ob sich womöglich deswegen die Berliner Regierungsparteien so sehr bemühen, das bundesrepublikanische Sommerloch zu füllen?

Der Konflikt zwischen den konservativen Schwesterparteien CDU und CSU war jedenfalls in den vergangenen Tagen derart eskaliert, dass ein Bruch der Union – und damit der Regierungskoalition – unmittelbar bevorzustehen schien. Den bizarren Höhepunkt bildete der Rücktritt vom Rücktritt des irrlichternden CSU-Innenministers Horst Seehofer. Vordergründig geht es in dessen Streit mit Kanzlerin Angela Merkel darum, wie sich Immigration noch rigoroser bekämpfen lässt; dass diese Frage trotz längst gesunkener Flüchtlingszahlen überhaupt dermassen umkämpft ist, ist an sich schon aberwitzig genug.

Ein Kompromisspapier sieht nun «Transit-Zentren» für Geflüchtete an der deutsch-österreichischen Grenze vor; konkret bedeutet das die Errichtung weiterer Lager. Dieses Vorhaben könnte theoretisch noch am Widerstand der SPD scheitern, aber das wird angesichts des in dieser Partei waltenden Opportunismus Wunschdenken bleiben. Die weitere Demontage des deutschen Asylrechts ist dabei der Kollateralschaden der von der CSU verfolgten Agenda; dass diese letztlich auf Merkels Sturz abzielt, belegen allein schon die in den Medien kolportierten Äusserungen Seehofers («Mit dieser Frau kann ich nicht arbeiten», «Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur mehr wegen mir Kanzlerin ist»). Dergleichen – zudem sexistisch grundierte – Unverschämtheiten eines Ministers gegenüber einer Regierungschefin dürften beispiellos sein.

Seehofer und der Rest der CSU-Spitze sind getrieben von der Furcht, bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober Stimmen an die AfD zu verlieren. Ihre Antwort auf diese Gefahr lautet: bedingungslose Eskalation der Konfrontation mit der Kanzlerin, die ja auch das Feindbild Nummer eins der RechtspopulistInnen ist. Damit tragen die Christsozialen zur Hysterisierung des ohnehin schon völlig überhitzten Diskurses in Deutschland bei; betrachtet man allein die Titelseiten einschlägiger Nachrichtenmagazine wie des «Spiegels», muss man den Eindruck haben, die Bundesrepublik sei ein «failed state». Wer wohl von dieser postfaktischen Stimmungsmache am Ende profitieren wird?