Schweiz–Saudi-Arabien: Gold und Waffen für den Folterstaat

Nr. 49 –

Das laufende Jahr ist eines der erfolgreichsten im Export von Schweizer Gütern nach Saudi-Arabien. Ganz offiziell verbindet «eine Partnerschaft für die Zukunft» die Wirtschaften beider Länder. Menschenrechte spielen nur oberflächlich eine Rolle.

Die Inszenierung war perfekt. Letzte Woche reiste Yves Rossier, der oberste Schweizer Diplomat, nach Saudi-Arabien und brachte gute Nachrichten zurück: Man habe ihm versichert, dass das Urteil gegen den saudischen Blogger Raif Badawi suspendiert worden sei, sagte Rossier der Westschweizer Zeitung «La Liberté». Badawi war letztes Jahr zu zehn Jahren Haft und tausend Stockhieben verurteilt worden. «Die Menschenrechte sind immer Teil unserer Diskussionen», so der Schweizer Chefdiplomat.

Die Schweiz als holde Wächterin der Menschenrechte und Saudi-Arabien als Staat, der keineswegs so unnachgiebig ist, wie es scheint. Das sind die Rollen, die Rossier gekonnt in der Öffentlichkeit inszenierte.

Im Zentrum der Dienstreise standen allerdings die wirtschaftlichen Beziehungen. Diese sind ausgesprochen lukrativ für die Schweiz. Letztes Jahr lag das Exportvolumen bei 4,6 Milliarden Franken: besonders Gold, Waffen, Uhren und Medikamente werden massenhaft eingekauft.

Ansteigende Hinrichtungszahlen

Vergangenes Jahr hat Saudi-Arabien 151 Menschen hinrichten lassen. 151 Menschen! Es ist die höchste Zahl von Hinrichtungen seit dem Jahr 1995. Die saudischen Behörden rechtfertigen ihre Praxis damit, dass Hinrichtungen ein integraler Bestandteil des Schariarechts seien, das die Rechte von TäterInnen und Opfern gleichermassen gewährleiste. Die Behörden werden nicht müde zu betonen, dass sie die Todesstrafe nur bei schweren Delikten anwenden, wie dies internationale Konventionen vorschrieben.

Jedoch erfolgte knapp ein Drittel der Verurteilungen aufgrund von Drogendelikten. Saudi-Arabien bestraft die Verurteilten mit langjährigen Haftstrafen, Stockschlägen oder dem Tod. So wurde etwa der Brite Karl Andree zu 350 Stockschlägen verurteilt, weil in seinem Auto einige Flaschen selbst gekelterter Wein gefunden wurden. Erst als die britische Regierung Druck auf Saudi-Arabien ausübte, wurde Andree freigelassen, er ist mittlerweile nach Britannien zurückgekehrt.

Andere haben weniger Glück. Vor allem jenen, die es wagen, das saudische Königshaus zu kritisieren, droht Folter oder Tod. «In den letzten Jahren haben Todesurteile gegen politische Gegner zugenommen», sagt Elham Manea, Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich. Vor allem gegen AktivistInnen der schiitischen Minderheit geht die saudische Justiz mit aller Härte vor. So wurde etwa der schiitische Geistliche Nimr Bakir al-Nimr 2014 wegen Volksverhetzung und Ungehorsam gegenüber dem Königshaus zum Tod verurteilt. Nimr, der 2011 die Proteste gegen die Regierung in Riad anführte, hatte es gewagt, die vollen Bürgerrechte für die schiitische Minderheit zu fordern. Kurz darauf wurden drei weitere Aktivisten verhaftet, unter ihnen auch Nimrs Neffe Ali Muhammad. Sie wurden zum Tod verurteilt, weil sie an Protestaktionen gegen das Königshaus teilgenommen hatten. Zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung waren alle drei minderjährig.

«Die Machthaber in Saudi-Arabien haben zwei Gesichter», sagt Elham Manea. «Das eine verkörpert das Königshaus, das gegen aussen eine pragmatische Politik betreibt und offene Wirtschaftsbeziehungen pflegt.» Innerhalb des Landes jedoch lasse die geistliche Elite Saudi-Arabiens keine Opposition zur offiziellen Staatsreligion des Königshauses zu. Die Doktrin des Wahhabismus ist der ideologische Unterbau, der in seiner Absolutheit jenem des Islamischen Staats zumindest gleichwertig ist.

Kaum bekannter Goldhandel

Zurück zur Dienstreise von Yves Rossier, bei der es hauptsächlich um die Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit Saudi-Arabien ging. Dem letztjährigen Schweizer Exportvolumen von 4,6 Milliarden Franken standen Importe aus Saudi-Arabien im Umfang von gerade einmal 168 Millionen Franken gegenüber. Vor zehn Jahren exportierte die Schweiz noch Waren im Umfang von 1,1 Milliarden Franken in den Golfstaat. Die massiv erhöhten Zahlen sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die Eidgenössische Zollverwaltung erst seit 2012 auch den Goldhandel in ihrer Exportstatistik auflistet – und damit das mit Abstand lukrativste Geschäftsfeld für Schweizer Firmen: Allein 2014 führte die Schweiz Gold im Wert von 2,3 Milliarden Franken nach Saudi-Arabien aus.

Über den Goldhandel ist allgemein kaum etwas bekannt, dabei handelt es sich um das wichtigste Exportprodukt der Schweiz überhaupt. 2013 machte die Ausfuhr von Goldbarren 34 Prozent des gesamten Exportvolumens aus. Mit einem Umfang von 118 Milliarden Franken lag die Goldausfuhr weit vor dem Export von Chemikalien und pharmazeutischen Produkten (81 Milliarden Franken). Diese Zahlen stammen aus der Broschüre «Zahlungsbilanz und Auslandvermögen der Schweiz» der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Dort sind auch die Schweizer Akteure im Goldgeschäft aufgeführt: Es sind zuallererst die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse. Aber auch die Bank Julius Bär sowie die Zürcher Kantonalbank sind in den Goldhandel involviert, ebenso die grossen Schweizer Goldraffinerien wie Metalor Technologies oder Pamp, denen zurzeit vorgeworfen wird, illegales Gold aus Peru verarbeitet zu haben. Die WOZ hat alle genannten Akteure angeschrieben, um mehr über den Umfang und Ablauf des Goldhandels mit Saudi-Arabien zu erfahren. Sofern überhaupt eine Rückmeldung kam, lautete sie: Kein Kommentar.

Der Handel mit Saudi-Arabien ist auch für weitere hiesige Branchen relevant, allen voran für die Pharmakonzerne, die Uhren- und Schmuckindustrie sowie die Maschinen- und ElektronikherstellerInnen. Sie setzen jährlich mehrere Hundert Millionen Franken um. Die Nahrungsmittelbranche führt jährlich Waren im Wert von rund 150 Millionen Franken nach Saudi-Arabien aus, erstaunlicherweise sogar Alkohol, wie ein Blick in die Zollstatistik zeigt: Zwischen 2005 und 2013 lieferte die Schweiz Wein im Wert von rund 50 000 Franken nach Saudi-Arabien. Von wem die Weinlieferung stammte und an wen sie geliefert wurde, verschweigt die Zollverwaltung «aus Datenschutzgründen».

Das Schweigen ist überhaupt die dominierende Kommunikationsform, wenn es um Details in den Schweizer Aussenhandelsbeziehungen zu Saudi-Arabien geht. Stellvertretend für die Rückmeldungen der angefragten Firmen wie Novartis, Rolex oder Nestlé sei hier die Antwort des Swatch-Pressesprechers wiedergegeben: «Zwischenberichte mit spezifischen Marktdaten, wie Exporten (oder Verkäufe) nach Saudi-Arabien, könnten wir sicher erstellen – und müssten wir gemäss Börsenregeln auch allen anderen zugänglich machen, was jedoch nicht geplant ist. Anders gesagt, veröffentlichen wir keine Zahlen nach Ländern.» Auskunftsfreudiger sind die Firmen in Bezug auf die Anzahl Mitarbeitender in Saudi-Arabien: 5450 bei Nestlé, 400 bei Novartis, 70 bei Roche. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schreibt in seiner offiziellen Länderinformation über den Golfstaat: «Ende 2013 beschäftigten die Schweizer Firmen insgesamt 10 126 Personen in Saudi-Arabien», weitere Details zum Thema gibt das Seco aber keine preis.

Klarheit herrscht immerhin in Bezug auf die Marschrichtung der Schweizer Handelsbeziehungen mit Saudi-Arabien. «In Anbetracht der Tatsache, dass Saudi-Arabien aufgrund des Erdölreichtums viel Geld für den Konsum ausländischer Güter und für die Realisierung riesiger Investitionsprojekte zur Verfügung steht, ist die Prognose berechtigt, dass hochwertige Produkte aus der Schweiz weiterhin einen guten Absatz finden werden», hält das Seco in seiner Länderinformation fest. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse hat letztes Jahr anlässlich eines Staatsbesuchs von Bundesrätin Doris Leuthard in Saudi-Arabien in einer Broschüre die Parole «Eine Partnerschaft für die Zukunft» ausgegeben, und wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) mitteilt, ging es bei Yves Rossiers Dienstreise auch um die «eventuelle Bildung eines ‹Swiss business council Saudi Arabia›».

Mehr Waffenlieferungen

Es gibt auf der Welt keinen Staat, der im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mehr Geld in seinen Militär- und Sicherheitsapparat pumpt als Saudi-Arabien. Entsprechend attraktiv ist der Absatzmarkt für die Schweizer Waffenindustrie. Dabei ist das Ausmass des Waffenhandels höher als gemeinhin bekannt, weil oft nur die Zahlen zur Ausfuhr von Kriegsmaterial berücksichtigt werden. Besondere militärische Güter wie militärisch eingesetzte Trainingsflugzeuge oder Simulatoren und Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, unterstehen nicht dem Kriegsmaterialgesetz, sondern dem weit weniger strengen Güterkontrollgesetz.

Dieser regulatorische Kniff, den nur die Schweiz kennt, verschleiert das wahre Ausmass des Waffenhandels. Im Jahr 2012 beispielsweise führte die Schweiz Kriegsmaterial im Wert von rund 25 Millionen Franken aus. Die Ausfuhr von 55 militärisch genutzten Trainingsflugzeugen der Firma Pilatus im Wert von über einer Milliarde Franken hingegen tauchte nicht in den Waffenexportstatistiken auf.

Rechnet man die Ausfuhr von Kriegsmaterial, besonderen militärischen Gütern und Dual-Use-Gütern zusammen, hatte der Waffenhandel nach Saudi-Arabien im letzten Jahrzehnt einen Umfang von insgesamt über 1,4 Milliarden Franken. Das laufende Jahr – die Zahlen von Januar bis September sind verfügbar – verläuft übrigens besonders erfolgreich: Das Exportvolumen liegt aktuell bei weit über einer halben Milliarde Franken, und dies, obwohl Saudi-Arabien Krieg im Jemen führt.

Wirtschaftsvertreter und Politikerinnen, auch in der Schweiz, propagieren gerne, dass über wirtschaftliche Beziehungen Fortschritte bei Menschenrechten angestossen werden können. «Theoretisch kann das sein», sagt Elham Manea. «Doch nur, wenn die wirtschaftliche Beziehung an klare Bedingungen geknüpft ist.»

Nach dem Staatsbesuch von Yves Rossier war von solchen Bedingungen nichts zu lesen.