Kommentar zu Deutschland in Syrien: Militärisches Abenteuer als Selbstzweck

Nr. 49 –

Angela Merkel zieht aus Solidarität mit Frankreich in ihren ersten eigenen Krieg. Eine schlüssige Strategie fehlt – nicht nur in Deutschland.

Eine deutsche Fregatte zum Schutz des französischen Flugzeugträgers im Mittelmeer. Aufklärungs- und Tankflieger zur logistischen Unterstützung der Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS). Bis zu 1200 SoldatInnen und 134 Millionen Euro Kosten pro Jahr. Ein Kampfeinsatz wird das nicht – und dennoch ist es eine kopflose wie gefährliche Idee. Die Opposition hatte im Vorfeld Bedenken angemeldet, die Linkspartei plant eine Verfassungsklage. Die Zustimmung des Parlaments gilt als sicher – Deutschland wird damit offizielle Kriegspartei im Syrienkonflikt.

In den letzten Jahren hatte sich die deutsche Bundeskanzlerin aus guten Gründen aus militärischen Abenteuern ohne Aussicht auf Erfolg herausgehalten. Die jetzige Zäsur ist auch deshalb umso bedeutender, weil der Syrieneinsatz nicht nur der grösste für die Bundeswehr wäre. Er ist auch der erste Einsatz, den die Kanzlerin selbst beschlossen und nicht von Gerhard Schröder geerbt hat.

François Hollande, der dieser Tage den französischen George W. Bush gibt, hatte den deutschen Nachbarn vergangene Woche um Hilfe gebeten. Und Deutschland versteht unter Solidarität offenbar nicht nur moralische Bekundungen, sondern auch Jets und Kriegsschiffe. Doch freundschaftliche Verpflichtungen waren noch nie ein guter Grund, um in den Krieg zu ziehen.

Völkerrechtlich wäre der Einsatz ohne entsprechendes Uno-Mandat ohnehin kaum zu legitimieren. Deshalb beruft sich die deutsche Regierung auf das in der Uno-Charta vage definierte kollektive Recht zur Selbstverteidigung im Fall eines bewaffneten Angriffs durch einen Staat. Auf diesem Recht beruhte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auch der amerikanische «Krieg gegen den Terror». Was damals schon falsch war, wird heute nicht richtiger. Mit dieser Logik liesse sich fast jeder militärische Einsatz legitimieren. Denkt man die Logik konsequent weiter, müsste es irgendwann einen Einsatz in Belgien geben, weil dort die Pariser Anschläge geplant wurden.

Abgesehen von den juristischen Problemen, sind ein paar Bombenangriffe auf DschihadistInnen noch lange keine schlüssige Strategie. Nicht nur TerrorexpertInnen haben mittlerweile gemerkt, dass es für einen militärischen Sieg gegen den IS Bodentruppen braucht. «Mit Bomben und Raketen allein ist Terror nicht zu besiegen», sagte am Dienstag etwa der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. Und dennoch besteht die einzige erkennbare Strategie darin, noch mehr Bomben zu schicken. Die deutsche Militäraktion verkommt damit zum planlosen Selbstzweck.

Und weil man als Teil der europäischen Neuauflage des «Kriegs gegen den Terror» sowieso lieber Bündnisse schmiedet, als sich eine langfristige Strategie zu überlegen, scheint plötzlich sogar ein Bündnis mit der syrischen Armee möglich. Nach einer Entmachtung Baschar al-Assads könne man einen Teil seiner Soldaten «nehmen», plapperte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Worte des französischen Aussenministers Laurent Fabius wenig originell nach.

Getreu einem alten zynischen Grundsatz scheinen im Krieg alle Mittel erlaubt zu sein. Die Verbrechen der syrischen Armee sind da schon mal schnell vergessen. Auch scheint unwichtig, welch zynisches Signal eine derartige Koalition für die syrische Opposition wäre. Eine Entmachtung des syrischen Diktators, der sein Land seit mehr als vier Jahren mit Bomben überzieht und über 180 000 der Kriegstoten verantwortet, steht nicht mehr im Fokus. Einzige Priorität soll jetzt der Kampf gegen den IS sein.

Nicht nur Deutschland, auch die gesamte eilig geschmiedete internationale Allianz lässt ausser ein paar unkoordinierten Aktionen keine Strategie erkennen. Jede Partei kämpft in Syrien ihren eigenen Krieg: Die zwei beleidigten Autokraten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan liefern sich gefährliche Machtspielchen. Saudi-Arabien, des Westens liebster Partner und «Stabilitätsanker» in der Region, unterstützt dschihadistische Organisationen mit Waffen und Geld, derweil sich die Ideologie der Herrscher von der des IS höchstens in Nuancen unterscheidet. Und die USA bombardieren den IS zwar seit über einem Jahr – sehr erfolgreich waren sie damit aber nicht. Selbstverständlich ist auch die britische Regierung Mitglied in dieser «Koalition der Willigen», nachdem höchstwahrscheinlich am Mittwochabend (nach Redaktionsschluss) das Parlament Bombenangriffe bewilligen wird. Und das sind nur einige der Akteure in diesem gefährlichen Stellvertreterkrieg.

Klar ist: Je mehr Bomben auf Syrien fallen, desto weiter in die Ferne rückt eine nachhaltige politische Lösung. Desto mehr Menschen flüchten vor diesen Bomben. Und desto mehr ZivilistInnen sterben in Syrien selbst. Russland etwa fliegt erst seit September Angriffe, soll aber nach Zahlen der oppositionellen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte für den Tod von fast 500 ZivilistInnen verantwortlich sein, darunter mehr als 100 Kinder.

Und wie steht die deutsche Bevölkerung zum Einsatz ihrer Regierung? Zwar rechnen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts You Gov 71 Prozent deswegen mit einer steigenden Terrorgefahr für Deutschland. 45 Prozent der Befragten stehen dennoch hinter der Mission. Eine Neuauflage der Friedensbewegung wäre jetzt umso dringlicher.