Kommentar von François Moore: Die Revolution in Syrien ist am Ende

Nr. 11 –

Das syrische Regime hat erreicht, was es wollte: Bald stehen sich nur noch islamistische Schlächter und Regierungstruppen als grosse Kampfverbände gegenüber.

Wahrscheinlich hatten die Strategen um Diktator Baschar al-Assad damals vor vier Jahren, als der revolutionäre Frühling auch in Syrien begann, das algerische Modell der neunziger Jahre vor Augen: die demokratische und moderat-islamische Opposition zu militarisieren, zu radikalisieren, zu isolieren und auszuradieren. Dass dies, noch viel schlimmer als in Algerien, das halbe Land in Schutt und Asche legen würde, hatten sie wohl nicht vorhergesehen. Es scheint sie aber auch kaum zu stören. Laut der Uno sind inzwischen mehr als 200 000 Menschen getötet und Millionen vertrieben worden. Die Vernichtung der islamistischen Truppen Nusra-Front und Islamischer Staat (IS) steht zwar noch bevor, doch der Plan ist bereits aufgegangen: Das Regime kann sich der aufgeklärten syrischen Bevölkerung und der Welt als einzige Alternative zu diesen Al-Kaida-Ablegern präsentieren.

Der bewaffnete Arm der demokratischen Opposition, die Freie Syrische Armee (FSA), ist wohl bald Geschichte. Bei aller berechtigten Kritik an den Deformationen und Gräueltaten auch bei der FSA: Sie war Ende Juli 2011, nach einigen Monaten der zivilen Proteste und Demonstrationen, angetreten, die Aufständischen vor der tödlichen Repression zu schützen. Sie wollte den Aufbau der revolutionären, basisdemokratischen Strukturen ermöglichen und die Koordinationskomitees und zivilen Räte verteidigen, die die befreiten Städte und Dörfer neu organisierten.

Noch im Februar 2015 hat die FSA in der nördlichen Metropole Aleppo einen Angriff des Regimes erfolgreich zurückgeschlagen. Doch nun wird sie dort von der Nusra-Front angegriffen, die in ihrem radikalislamischen Wahn ähnlich wie der IS alle bekämpft, die moderatere Positionen vertreten. So wird die FSA wohl auch aus Aleppo vertrieben, wie schon zuvor aus der Provinz Idlib, eines der wichtigsten ehemals befreiten Gebiete.

Stark war die FSA auch im Süden des Landes, um die Städte Dar’a und Kuneitra, und in einigen Damaszener Vororten wie Daraja. Nun ist das Regime wieder massiv im Vormarsch. Ob die Südliche Front, ein an sich kampfkräftiger, nicht nur nomineller Zusammenschluss einiger Dutzend FSA-Brigaden, diesen Angriff überstehen wird, ist fraglich. Die bewährte Kriegstaktik des Regimes lässt der Opposition nur eine einzige, verzweifelte Wahl: Rückzug – oder die von ihr kontrollierten Städte und Dörfer werden zerstört. Wohl werden einige FSA-Verbände in Syrien überleben und auch einige andere Milizen wie jene der Islamischen Front. Doch sie werden kaum mehr Gebiete von strategischer Bedeutung kontrollieren, sondern über menschenleere, zerfallene Städte und Landstriche herrschen.

Etwas anders ist die Situation einzig in Rojava, den mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebieten im Norden und Nordosten Syriens. Hier hat, nach anfänglichem Zögern, die kurdische Arbeiterpartei PKK die Macht übernommen. In die militärische Struktur der ursprünglich türkisch-kurdischen PKK waren schon lange viele syrische KurdInnen integriert, und so war es ein Einfaches, sie aus den PKK-Rückzugsgebieten in den nordirakischen Bergen nach Syrien zu schicken. Dies geschah im stillen Einvernehmen mit dem Assad-Regime, das sich aus den kurdischen Gebieten weitgehend zurückgezogen hat, ohne dass es zu grösseren Konfrontationen gekommen wäre.

Im Gegenzug konnte das Regime bis heute Positionen in den grossen kurdischen Städten Kamischli und Hasaka behalten. Die PKK beteiligte sich auch nicht an den Kämpfen im restlichen Syrien, ausser die kurdische Bevölkerung war direkt betroffen. Dieser unausgesprochene Nichtangriffspakt mit der PKK hielt dem Regime im Nordosten den Rücken für den Krieg in anderen Regionen frei. Und die PKK, konsequent in ihrer kurdisch-nationalistischen Politik, kann jetzt in Rojava immerhin ihre eigenen Strukturen durchsetzen.

Durch den Kampf um die Stadt Kobane wurden die PKK und ihre syrischen Unterorganisationen zugleich salonfähig für den Westen. Denn die PKK und die USA verteidigten Kobane gemeinsam gegen den IS – die PKK am Boden, die USA mit massiven Luftangriffen. Und dies, obwohl die PKK in den USA eigentlich immer noch als terroristische Organisation gilt. So kommt es, dass die PKK in Rojava zwar resolut regiert, dabei aber ihren eigenen Namen weitgehend verschweigt. Das war wohl Teil der informellen Abmachung zwischen den USA und der PKK: Ihr sagt nicht öffentlich, wer ihr seid, und wir tun so, als ob wir es nicht wüssten. Solange diese unausgesprochene westliche Rückendeckung andauert, dürfte es der PKK gelingen, ihr kleines Staatswesen in Rojava am Leben zu erhalten.

Die mutigen syrischen AktivistInnen, die die Revolution vor vier Jahren in Gang brachten, koordinierten und am Laufen hielten, sind heute mehrheitlich getötet oder mussten aus dem Land fliehen. Andere sitzen in den Kerkern des Regimes oder der bewaffneten islamistischen Milizen. Jene, die überlebt haben, diskutieren in ihren verbliebenen politischen Netzwerken immer noch so leidenschaftlich wie verzweifelt, ob es richtig war, den Aufstand zu bewaffnen. Heute ist klar: Ausradiert worden wären sie so oder so.