Konflikt an der Universität Zürich: Der Rektor, die Professorin, die Undurchsichtigkeit

Nr. 45 –

Der Universität Zürich wird vorgeworfen, sich im Fall der Entlassung von Professorin Iris Ritzmann politischem Druck von rechts zu beugen. Nun steht der vorzeitige Rücktritt des Rektors Andreas Fischer im Raum.

«Die Unileitung opfert ihre wissenschaftlichen Werte der Politik!», sagt ein Mitarbeiter des akademischen Mittelbaus der Universität Zürich aufgebracht: «Ich habe kein Vertrauen mehr in die Unileitung. Sie stellt sich nicht vor ihre Institution und verteidigt ihre Angestellten nicht, ebenso wenig die wissenschaftlichen Standards, die sie in der Öffentlichkeit zu vertreten hätte. Sie beugt sich stattdessen politischem Druck.»

Die Wogen gehen hoch rund um die letzte Woche bekannt gewordene Entlassung von Professorin Iris Ritzmann beim Medizinhistorischen Institut. Ritzmann gilt als Verdächtige im laufenden Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung, das aufgrund der Berichterstattung rund um die Entlassung von Christoph Mörgeli im Herbst 2012 eingeleitet wurde. Die Universität Zürich hatte Anzeige gegen unbekannt eingereicht. Nun wurde Iris Ritzmann vor Abschluss des Strafverfahrens gekündigt. Grosse Frage: Was gab den Anlass, die Kündigung just zu diesem Zeitpunkt auszusprechen? Die Universitätsleitung hüllt sich in Schweigen, eine entsprechende Anfrage der WOZ an die Kommunikationsstelle der Universität bleibt unbeantwortet, man könne diesbezüglich nichts sagen. In einer Stellungnahme, die am 1. November an sämtliche Mitarbeitende der Uni Zürich versandt wurde, behauptete Rektor Andreas Fischer, dass die Universität nicht unter politischem Druck gehandelt habe. Einige Indizien scheinen ihn Lügen zu strafen.

Das «Angebot» der Unileitung

Gemäss Iris Ritzmanns Anwalt hatte die Universität bereits seit gut vier Monaten Einsicht in die Akten des Strafverfahrens. Es ist daher nicht plausibel, wieso die Universität die Kündigung gerade jetzt aussprach. Wenn sich der Verdacht gegen Ritzmann aufgrund der Akten erhärtete – warum liess dann die Universität vier Monate verstreichen, bevor sie Konsequenzen zog? Wollte sie bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung respektieren? Aber warum kam es dann trotzdem jetzt schon zu einer Kündigung?

Iris Ritzmanns Anwalt sagt der WOZ, dass der Rechtsdienst der Universität ihm gegenüber den Zeitpunkt der Kündigung mit SVP-Anfragen im Kantonsrat begründete. Der Rechtsdienst habe auch die Befürchtung geäussert, Christoph Mörgeli könne, sofern er im laufenden Strafverfahren als Geschädigter anerkannt werde, demnächst Einsicht in die Akten nehmen, was zu weiteren Negativschlagzeilen führen würde.

Tatsächlich sind in den letzten Monaten mehrere Anfragen von SVP-Parlamentariern zur Entlassung von Christoph Mörgeli und zum laufenden Strafverfahren an den Regierungsrat gestellt worden, etwa von den Kantonsräten Claudio Zanetti und Christian Mettler. In einer Anfrage vom 3. Juni zur «Situation am Medizinhistorischen Institut» bezog sich Mettler beispielsweise auf die Verhaftung des Ehepaars Ritzmann im November 2012. Er fragte unter anderem, wer deren Anwaltskosten bezahle, auf welchen Betrag sich die «von Steuerzahlern bezahlten Lohn- und Lohnnebenkosten des freigestellten Ehepaars» von November 2012 bis Mai 2013 beliefen und ob Frau Ritzmanns Ehemann neben seinem Zwanzigprozentpensum am Medizinhistorischen Institut und am Museum weitere Lohnzahlungen Dritter erhalte, etwa vom Schweizerischen Nationalfonds oder anderen Stiftungen.

Der Regierungsrat antwortete am 18. September, dass sich die Universität Zürich nicht an den Anwaltskosten des Ehepaars beteilige und deren Höhe somit unbekannt sei. Die Regierung nehme an, «der Ehemann» habe auch eine zusätzliche Anstellung ausserhalb der Universität. Detailliert gab sie Auskunft über den Minimal- beziehungsweise Maximallohn für wissenschaftliche Mitarbeitende mit einem vollen Pensum, was Rückschlüsse auf Iris Ritzmanns Jahresgehalt erlaubte.

Nur wenige Tage später, Ende September, unterbreitete die Universitätsleitung Iris Ritzmann ein «Angebot» zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Nach dem Vorschlag der Uni hätte sie ihren Professorinnentitel behalten dürfen, die Lehrbefugnis jedoch verloren. Darauf trat Iris Ritzmann nicht ein, denn ein Professorinnentitel ist ohne Lehrbefugnis nicht viel wert. In der ersten Oktoberhälfte folgte die Kündigungsandrohung und am 29. Oktober schliesslich die definitive Kündigung. In der offiziellen Presseerklärung der Universität war zu lesen, dass Ritzmanns wissenschaftliche Leistungen durch die Kündigung nicht infrage gestellt würden. Aufgrund von Nachfragen der Medien gab die Unileitung hingegen zu, dass mit der Kündigung auch die Aberkennung des – wissenschaftlich begründeten – Professorinnentitels angedroht worden war und dass die Lohnzahlungen seit der Freistellung zurückgefordert würden. Dies, obwohl Ritzmann auch während ihrer Freistellung als Wissenschaftlerin forschte und sogar – informell – für das Medizinhistorische Institut arbeitete.

Fischer muss weg

Transparente Kommunikation sieht anders aus. Unabhängigkeit von politischem Druck wohl ebenfalls: Im Kantonsrat wird die Aufsichtskommission Bildung und Gesundheit am 14. November darüber befinden, ob eine oberaufsichtsrechtliche Untersuchung des sogenannten Falls Mörgeli und der jüngsten Ereignisse an der Universität eingeleitet werden soll. Mitglied dieser Kommission ist SVP-Mitglied Christian Mettler, der die erwähnte Anfrage zu den Lohnzahlungen an Iris Ritzmann eingereicht hatte. Der Zürcher Staatsanwalt Andrej Gnehm, der für das laufende Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung verantwortlich ist, gehört bekanntlich ebenfalls der SVP an, die seit Monaten Mörgelis Absetzung als Museumsleiter skandalisiert und zumindest publizistisch schwerste Geschütze gegen die Universität auffährt.

Kantonsrat Claudio Zanetti hält den Einfluss der SVP an der Universität trotzdem für sehr begrenzt, aber ein wenig geschmeichelt wäre er schon, wenn die Anfragen der SVP die jüngsten Vorgänge ausgelöst hätten: «Wenn dem tatsächlich so ist, dann hat ein Vorstoss von mir im Kantonsrat endlich einmal etwas bewirkt.» Ob zu Recht geschmeichelt oder nicht: Jedenfalls verwandtschaftlich steht das Generalsekretariat der Uni der SVP überraschend nahe. Die rechte Hand des Rektors, Generalsekretär Kurt Reimann, ist der Bruder des Aargauer SVP-Nationalrats Maximilian Reimann und der Vater des St. Galler SVP-Nationalrats Lukas Reimann.

Inzwischen scheint sich an der Universität Zürich ein neuer Konflikt abzuzeichnen: zwischen dem Rektorat und dem Generalsekretariat auf der einen Seite und der erweiterten Universitätsleitung (in der die ProrektorInnen aus den einzelnen Fakultäten sitzen) auf der anderen Seite. Man hört aus den Fakultäten, dass sich die ProrektorInnen vom Vorgehen Andreas Fischers distanzieren und ein Rücktritt des Rektors bevorstehen könnte. Ein Szenario, dem zum Beispiel auch der grüne Kantonsrat Res Marti etwas abgewinnen könnte: «Die Universitätsleitung sollte sich über einen frühzeitigen Wechsel an der Spitze Gedanken machen, um das Vertrauen der Universitätsangestellten und auch der Öffentlichkeit wiederherzustellen.» Wie im Fall des Papstes, sagt Marti, könnte ein frühzeitiger Abgang des Rektors für alle Beteiligten erlösend wirken und einen zwar schwachen, aber doch neuen Wind aufkommen lassen.

Auffällige Ungleichheit

Gründe, die für einen Rücktritt von Rektor Fischer sprechen, gibt es genug: Die Universitätsleitung hat die Angestellten des Medizinhistorischen Instituts über Jahre mit internen Personalkonflikten allein gelassen, dabei war sie bereits 2006 auf die dortigen Missstände aufmerksam gemacht worden. Sie hat also ihre eigenen Pflichten vernachlässigt. Die Weitergabe von E-Mail- und Telefondaten an die Staatsanwaltschaft dürfte das Vertrauensverhältnis zwischen Uniangestellten ausserdem nachhaltig gestört haben. Und schliesslich ist die Universitätsleitung nicht fähig, ihre eigenen Reglemente durchzusetzen und die Gleichbehandlung ihrer Angestellten zu garantieren: Dies zeigt sich exemplarisch an den Fällen Mörgeli und Ritzmann. Beide arbeiteten als Privatdozierende am selben Institut. Im Fall von Mörgeli wird nach jahrelangen Klagen ein Mitarbeiterbeurteilungsverfahren eingeleitet, aufgrund der Ergebnisse wird er freigestellt und als Museumskurator entlassen. Ritzmann hingegen wird die Weitergabe des Passworts für die halböffentliche Onlinelernplattform OLAT an einen Journalisten zum Verhängnis – dass sie damit auch ihr eigenes Mailkonto freigab, war ihr nicht bewusst. Ihr wird wegen dieser Bagatelle gekündigt, ohne dass es jemals zu einer Mitarbeiterinnenbeurteilung gekommen wäre. Mörgeli wird als Kurator des Museums entlassen; als Privatdozent bleibt er weiterhin angestellt und kann dieses Semester das Kolloquium «Erzählte Medizingeschichte» und das Modul «Medizinische Museologie: Erarbeiten einer Ausstellung» anbieten. Ritzmann hingegen wird mit dem Entzug des Professorinnentitels gedroht, und sie soll ausbezahlte Löhne zurückgeben. Im Raum steht die Frage, ob so viel Ungleichbehandlung nicht vielleicht auch mit dem Geschlecht zu tun hat.

Am Dienstag teilte Iris Ritzmann mit, dass sie gegen ihre Entlassung Rekurs einlegen wird. Auf die Frage, wie viel Vertrauen sie denn nach allem noch zur Universität aufbringen könne, sagt Ritzmann der WOZ: «Ich fühle mich verbunden mit meinen Kolleginnen und Kollegen an der Universität. Sie machen für mich die Universität aus, darum möchte ich weiterhin dort arbeiten. Rektor Andreas Fischer geht im Sommer 2014 in Rente. Dann brauchen wir jemanden, der dieses Schiff nach aussen vertritt und steuert. Meine Kollegen und ich sind diejenigen, die rudern.»

Iris Ritzmann

Die Titularprofessorin Iris Ritzmann (51) promovierte in Medizin und studierte Allgemeine Geschichte, Medizin- sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Pädiatriegeschichte, die Geschichte der medizinischen Praxis sowie die Geschichte bestimmter Patientengruppen. Seit 2002 ist sie am Medizinhistorischen Institut tätig, seit 2011 als stellvertretende Direktorin.