Konfliktlösung in Syrien: Aufrüsten, aushandeln, ausbluten

Nr. 25 –

Gibt es noch Alternativen zu einer Aufrüstung der Opposition und einer ausländischen Intervention in Syrien? Die ExpertInnen sind sich uneins – gerade auch auf linker Seite.

Einst warf Jean Ziegler den USA «Imperialismus» und «Staatsterrorismus» vor. Heute sagt der Schweizer Sozialist und Soziologe, der im Beratenden Ausschuss des Uno-Menschenrechtsrats sitzt: «Das Terrorregime von Baschar al-Assad wird dank der Unterstützung durch Russland, den Iran und die Hisbollah gewinnen. Die syrische Opposition muss deshalb sofort massiv mit Defensivwaffen ausgerüstet werden. Nur die USA haben die Möglichkeiten, dies zu tun.»

Eine weitere entscheidende Massnahme sieht Ziegler in der von der Schweiz initiierten und vom Uno-Menschenrechtsrat an den Sicherheitsrat überwiesenen Aufforderung, die Menschenrechtsverletzungen in Syrien vor dem Internationalen Strafgerichtshof einzuklagen. «Es ist doch unglaublich, dass Assad und seine Komplizen auch nach 100 000 Toten in diesem Konflikt noch immer nicht strafrechtlich verfolgt werden», sagt Ziegler.

Militärisches Gleichgewicht nötig

«Der Westen hat bisher die Kräfte, die für demokratische, westliche Werte kämpfen, im Stich gelassen», sagt Ziegler, «deswegen haben auch die extremen Dschihadisten Aufwind bekommen und den sunnitischen Widerstand konfessionalisiert.» Durch die Aufrüstung der Opposition könne wieder ein militärisches Gleichgewicht entstehen – und erst dann hätten Friedensinitiativen wie die angekündigte zweite Genfer Friedenskonferenz überhaupt eine Chance.

«Die Geschichte der multilateralen Diplomatie zeigt klar, dass ein bewaffneter Konflikt nur dann mit politischen Mitteln gelöst werden kann, wenn die Konfliktparteien zur Einsicht gelangt sind, dass es keine militärische Lösung gibt», sagt Ziegler. Um ein solches militärisches Patt herzustellen, fordert er neben der schnellstmöglichen Lieferung von Flugzeug- und Panzerabwehrwaffen auch die Einrichtung einer Flugverbotszone und von humanitären Korridoren. Selbstverständlich erfordere die Durchsetzung dieser Massnahmen auch eine direkte Intervention westlicher Staaten.

«Ja zu Demokratie, Nein zu ausländischer Intervention» steht hingegen gross auf der Homepage der Internationalen Friedensinitiative für Syrien. Auch Jean Ziegler firmiert unter den prominenten UnterstützerInnen dieser ambitiösen zivilgesellschaftlichen Aktion linker Kreise. Leo Gabriel, der die Friedensinitiative vor neun Monaten mit begründet hat, teilt Zieglers interventionistische Vorlieben ganz und gar nicht. «Wir sind prinzipiell gegen jegliche Aufrüstung, egal von welcher Seite», sagt der österreichische Ethnologe und Autor, der im Internationalen Rat des Weltsozialforums sitzt. «So oder so ist es naiv zu glauben, dass sich die Situation mit US-Waffen grundlegend und rasch verändern würde.»

Lokale Waffenstillstände möglich

Gabriel ist vor kurzem aus Syrien zurückgekehrt, wo er und seine internationale Delegation mit VertreterInnen der Opposition, religiöser und lokaler gesellschaftlicher Organisationen sowie der Regierung bis hinauf zu Präsident Assad zusammentrafen. «Mittlerweile gibt es zwei Syrien, eines unter Regierungskontrolle und eines unter Kontrolle der Opposition», sagt Gabriel. «In beiden Teilen gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft, vor allem in den aufständischen Zonen, wo lokale Komitees das Überleben der Bevölkerung sicherstellen und sich um das Schul- und Gesundheitswesen kümmern.» Die zivilgesellschaftlichen Prozesse liefen unabhängig vom militärischen Kräftemessen.

Das Ziel der Internationalen Friedensinitiative sei es, all die Kräfte zu unterstützen und zusammenzubringen, die für eine politische Lösung sind. «Dabei hat sich etwa herausgestellt, dass Oppositionelle, die sich bisher keinerlei Verhandlungen mit Assad vorstellen konnten, zunehmend bereit sind, mit lokalen Regierungsvertretern über einzelne gewaltfreie Zonen zu verhandeln», sagt Gabriel. Solche Zonen würden beispielsweise in der Umgebung von Schulen und Krankenhäusern errichtet. Nach der Genfer Friedenskonferenz sollen sich dann an einer Folgekonferenz die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteure treffen, um die Friedensstiftung und den Wiederaufbau des Landes auf den Weg zu bringen.

Dass jedoch die Genfer Konferenz – die bei weitem wichtigste Friedensbemühung auf multilateraler Ebene – überhaupt je stattfinden wird, bezweifeln mittlerweile viele. Die Konferenz, die eigentlich in diesen Tagen hätte beginnen sollen, ist bereits mehrmals verschoben worden; inzwischen gilt September als frühester Termin. Eine in Syrien aktive Expertin für Konfliktlösung und Friedensstiftung, deren Organisation nicht zu laufenden Prozessen Stellung nimmt und die deshalb anonym bleiben will, sagt: «Massive militärische Hilfe an die Aufständischen würde Verhandlungen erst recht bis auf weiteres verunmöglichen – auch weil eine Aufrüstung selbst im besten Fall erst nach mehreren Monaten ein militärisches Patt herbeiführen könnte.»

Doch neben der Genfer Konferenz sieht die Expertin keine ernst zu nehmenden Friedensinitiativen: «Die Arabische Liga ist total gespalten. Und die syrische Zivilgesellschaft steckt noch in den Anfängen und kann sich unter den jetzigen Bedingungen kaum entwickeln. Die wenigen innersyrischen Konfliktlösungsbemühungen können die rohe militärische Kraft auf beiden Seiten nicht aufwiegen.»

Heiko Wimmen, Syrienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, drückt es noch deutlicher aus: «Zivilgesellschaftliche Prozesse schaden sicher nicht. Aber es gibt zurzeit keine wirkliche Chance auf eine politische Lösung des Konflikts.» Es liege in der Logik von Stellvertreterkriegen, dass die lokalen Konfliktparteien immer dann zusätzliche militärische Hilfe von aussen bekämen, wenn sie ins Hintertreffen gerieten. Deshalb werde die westliche Aufrüstung im Gegenzug die weitere Aufrüstung der Regierungsseite und eine Erhöhung des Gewaltniveaus bewirken.

Mit Assad gibt es keinen Frieden

«Wenn ein militärisches Patt Bedingung für eine Verhandlung wäre, hätte man früher schon verhandeln können, als es ein solches Patt gab», sagt Wimmen, «aber es ist längst klar, dass das Assad-Regime nicht bereit ist, seinen Absolutheitsanspruch aufzugeben.» Deshalb sehe auch auf Oppositionsseite niemand Assad als Teil der Lösung. «In diesem Stellvertreterkrieg muss die Lösung hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden», sagt Wimmen, «zwischen den USA, dem Iran und Russland.»

Westliche militärische Hilfe würde also, so scheint es derzeit, vor allem zu einer weiteren Aufrüstung der Gegenseite und zu weiteren Toten und Vertriebenen führen. Die Hoffnung, dass dadurch Verhandlungen auf Augenhöhe möglich werden, teilt Jean Ziegler allerdings auch mit linken Entscheidungsträgern wie dem französischen Präsidenten François Hollande: Zusammen mit Britannien dürfte er bald Waffen an ausgewählte Aufständische liefern. Da für einen ausländischen militärischen Eingriff keine völkerrechtliche Grundlage besteht, wird in Syrien eine sogenannte humanitäre Intervention – wie vor fünfzehn Jahren im Kosovo – immer wahrscheinlicher. Vor allem, wenn die interventionsfreudigen Mächte zum Schluss kommen, dass Assad Chemiewaffen einsetzt.

Wenig Unterstützung findet hingegen Leo Gabriel in seinem Glauben an die Kraft der Zivilgesellschaft und die Kompromissbereitschaft von Regime und Opposition. Doch auch er ist kein naiver Optimist: «Der Libanonkrieg hat fünfzehn Jahre gedauert. Auch der Krieg in Syrien könnte noch lange weitergehen – bis das Land ausgeblutet ist und die Leute nicht mehr anders können, als eine politische Lösung zu finden.»

Internationale Friedensinitiative für 
Syrien (mit Unterzeichnungsmöglichkeit): 
www.peaceinsyria.org

«Grösste Flüchtlingskrise»

Die USA kündigten am letzten Freitag an, der syrischen Opposition Waffen zu liefern. Vorher hatten dies schon Britannien und Frankreich in Aussicht gestellt.
Die Schweiz hält gemäss Auskunft des Aussendepartements an einem «strikten Waffenembargo» für Syrien fest und erinnert explizit an den kürzlich abgeschlossenen Uno-Waffenhandelsvertrag, der ausdrücklich solche Waffenlieferungen verbietet. Derweil wolle die Schweiz eine «politische Lösung» fördern und habe angeboten, die Genfer Friedenskonferenz organisatorisch zu unterstützen.
Die Uno schätzt mittlerweile die Zahl der Toten auf über 90 000. 4,25 Millionen SyrerInnen seien landesintern vertrieben worden, über 1,6 Millionen sind ins – vor allem umliegende – Ausland geflohen. Am Mittwoch meldete die Uno-Flüchtlingsagentur, die Konflikte in Syrien, Mali und im Kongo hätten global zur «grössten Flüchtlingskrise seit fast zwanzig Jahren» geführt.