ORS Service AG: Die Asylprofiteure

Nr. 49 –

Mit staatlichen Aufträgen im Asylbereich setzt die private Dienstleistungsfirma ORS 55 Millionen Franken um. Teilweise mit fragwürdigen Methoden: In einer Zürcher Gemeinde verrechnet sie Asylsuchenden eklatant hohe Wohnkosten.

Asylsuchende erhalten in der Schweiz immer weniger finanzielle Unterstützung. Aber das Geschäft mit ihnen blüht. Und der grösste Player in diesem Geschäft ist die ORS Service AG, ein Unternehmen, das sein Geld mit der Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden verdient. Die ORS betreibt gemäss eigenen Angaben alle sieben Bundeszentren, über fünfzig Unterkünfte in verschiedenen Kantonen, und betreut pro Tag rund 4000 Asylsuchende. Als ihre zentrale Aufgabe erklärt sie die «zuverlässige Betreuung und menschlich korrekte Behandlung» von Asylsuchenden.

Doch die ORS ist vor allem eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft. Einst begann sie als einfache Personalvermittlungsfirma. Heute gehört das Unternehmen mit über 300 MitarbeiterInnen einer Private-Equity-Firma und einer Holding im steuergünstigen Kanton Zug (vgl. «Die Firmenstruktur der ORS»). Sie profitierte in den neunziger Jahren von der behördlichen Vorliebe für Outsourcing und hat die Hilfswerke als Dienstleister aus dem Markt gedrängt.

Betrug der Umsatz der ORS im Jahr 1998 laut Medienberichten noch 20 Millionen Franken, hat er sich in der Zwischenzeit fast verdreifacht: Im Jahr 2010 setzte die ORS gemäss Wirtschaftsauskunftsdienst Teledata 55 Millionen Franken um. Und macht dabei Kasse mit den Asylsuchenden, wie Recherchen der WOZ zeigen.

«Kein Haus, ein Gefängnis»

Wie im Prinzip alle Gemeinden muss auch Weiach, die nördlichste Gemeinde des Zürcher Unterlands, eine vom Kanton bestimmte Quote von Asylsuchenden aufnehmen. Momentan sind das zehn junge Männer. Sie alle befinden sich – zum Teil seit Jahren – in einem laufenden Asylverfahren und dürfen von Gesetzes wegen nicht arbeiten. Sie leben zusammen in einem alten, heruntergekommenen Bauernhof: zehn Menschen, die sich vier kleine Schlafzimmer teilen, ein Wohnzimmer, eine Dusche, eine Toilette und einen Herd.

«Das ist kein Haus, das ist ein Gefängnis», sagt ein Bewohner, der sich ein knapp zwölf Quadratmeter kleines Zimmer mit zwei weiteren Asylsuchenden teilt. «Wir trampeln uns zwangsläufig gegenseitig auf die Füsse. Und weil die Wände und Böden so ringhörig sind, gibt es nie Ruhe. Es ist immer ein Stress», sagt ein anderer.

Diese Asylunterkunft wird von der ORS betrieben. Zwei- bis dreimal im Monat kommt eine Betreuerin zur Kontrolle vorbei. Weiach hat den gesetzlichen Leistungsauftrag im Asylwesen seit 2002 an die private Firma outgesourct – genauso wie 33 weitere Zürcher Gemeinden. Die ORS verwaltet auch den monatlichen Pauschalbeitrag von 1493.95 Franken, den jeder Asylsuchende vom Staat erhält. Von diesem Beitrag bleiben den Asylsuchenden in Weiach am Ende 400 Franken – 371.95 Franken zieht die ORS für die Krankenkasse ab, 22 Franken für Betriebskosten und 700 Franken für die «Nutzung des Wohnraums». Das geht aus einer ORS-Abrechnung hervor, die der WOZ vorliegt. Demnach verrechnet die ORS für die Unterbringung der zehn Asylsuchenden 7000 Franken im Monat, 84 000 Franken im Jahr. Die Gemeinde, die das heruntergekommene Bauernhaus von einer Privatperson mietet, zahlt laut Rechnung aber nur rund 18 000 Franken im Jahr. Eine Differenz von 66 000 Franken. Bereichert sich die ORS also an Asylsuchenden?

ORS-Direktor Stefan Moll-Thissen weist diesen Vorwurf in aller Form zurück, weil er «in keiner Weise den Tatsachen entspricht». Man halte sich an die Rahmenbedingungen und kommuniziere das Vorgehen gegenüber den Auftraggebern.

Moll-Thissen sagt zudem: «Wir stellen vermehrt fest, dass viele im Asyl- und Flüchtlingswesen tätige, kompetente NGOs die ORS als sehr professionelle Organisation wahrnehmen, die ihre Aufgaben kompetent und im Sinne der Auftraggeber, aber eben vor allem auch der Asylsuchenden erbringt.»

Neue Aufträge in Sicht

Eine Umfrage der WOZ bei verschiedenen Menschenrechtsgruppen zeigt ein ganz anderes Bild. Auf die Erfahrungen mit der ORS angesprochen, sagt etwa Denise Graf von Amnesty International: «Ich habe verschiedentlich festgestellt, dass die ORS mit sehr kleinen Betreuungskapazitäten arbeitet. Als ich im Jahr 2006 das Zentrum Kaiseraugst besuchte, musste ich feststellen, dass die ausschliesslich männlichen Bewohner des Zentrums über weite Teile der Woche völlig sich selbst überlassen waren und es keinerlei Tagesstruktur gab.» Grafs Einschätzung deckt sich mit den Berichten von Solidarité sans frontières (Sosf), Augenauf und dem Centre de Contact Suisses-Immigrés.

Ausserdem sind über die letzten Jahre hinweg verschiedene Vorfälle in Zentren, die von der ORS betreut werden, publik geworden: Verweigerung des Zugangs für Angehörige von Menschenrechtsgruppen, mangelnde medizinische Versorgung, unprofessionelle und unterbesetzte Betreuung.

Moreno Casasola von Sosf kritisiert grundsätzlich, dass eine gewinnorientierte Firma wie die ORS überhaupt Betreuungsmandate erhält – zumal im Asylwesen ein permanenter Spardruck und eine Abbaustimmung herrschten: «Mit der aktuellen Pro-Kopf-Pauschale des Bundes von durchschnittlich knapp 1500 Franken ist es nicht mehr möglich, eine professionelle Betreuung mit einem umfassenden Konzept zu garantieren. Wie also schafft es die ORS, aus der trockenen Zitrone Asylwesen Gewinne zu pressen? Das kann nur auf Kosten der Qualität und des Ausbildungsprofils der Angestellten gehen.»

Trotz Kritik an der ORS von verschiedener Seite scheint der Staat die kostengünstigen Dienste des Unternehmens zu schätzen: Anfang nächster Woche kommen Vorschläge zur Revision des Asylgesetzes in den Ständerat, wie das Asylverfahren kurzfristig beschleunigt werden kann. Unter anderem soll eine Vorbereitungsphase eingeführt werden. In der Botschaft heisst es: «Das BFM kann in der Vorbereitungsphase Dritte mit administrativen Aufgaben betrauen.» «Dritte», so bestätigten VertreterInnen des BFM kürzlich der WOZ, könnte die ORS sein.

Die Firmenstruktur der ORS Service AG : Eine Firma aus dem Zuger Steuerparadies im Hintergrund

Die Firma ORS Services SA (Organisation für Regie und Spezialaufträge) wurde 1977 als Personalvermittlungsfirma in Lausanne gegründet. 1992 änderte sie ihren Namen in ORS Service AG und verlegte den Sitz nach Zürich. Der Zweck laut Handelsregister: Dienstleistungen im Personalbereich.

Der Einstieg ins Asylwesen gelang dem Unternehmen 1991 im Kanton Baselland: Der damalige SVP-Regierungsrat Werner Spitteler beauftragte die ORS mit der Betreuung einer Asylunterkunft in Liestal. Ein Jahr später erhielt die ORS vom heutigen Bundesamt für Migration zum ersten Mal den Auftrag, Asylsuchende in den Empfangszentren Basel, Kreuzlingen, Chiasso und Carouge zu betreuen. Auch im Kanton Zürich, wo die ORS seit 1998 Betreuungsaufgaben wahrnimmt, erhielt sie den Zuschlag von der SVP – der damaligen Regierungsrätin Rita Fuhrer.

Die ORS gehört laut Wirtschaftsauskunftsdienst Teledata der Private-Equity-Firma Invision. Das Unternehmen ist über einen Fonds namens Invision IV an der OX Holding beteiligt, die «Outsourcing-Lösungen» über ihre operative Geschäftseinheit ORS anbietet. Sowohl die OX Holding als auch Invision sind im steuergünstigen Kanton Zug beheimatet. Die Private-Equity-Firma will der WOZ auf Anfrage keine geschäftlichen Informationen über Beteiligungen preisgeben, schliesslich sei man «eine private Gesellschaft». Sie bestätigt aber, dass sie seit 2009 an der ORS beteiligt ist – jedoch «nicht zu hundert Prozent».

Im Frühjahr 2007 änderte die ORS Service AG laut Handelsregister den Geschäftszweck. Seither kann sie «alle kommerziellen und finanziellen Geschäfte durchführen, die der Verwirklichung ihres Zwecks förderlich sind», also auch Darlehen an oder Finanzierungen von Mutter- und Tochtergesellschaften.

Derartige oder ähnliche Firmenstrukturen findet man im Kanton Zug häufig, oft bei ausländischen Firmen, die ihren Holdingsitz in die Innerschweiz verlegen, um innerhalb des Unternehmens Gewinne zu verschieben und so Steuern zu «optimieren». ORS-Direktor Stefan Moll-Thissen kommentiert auf Nachfrage der WOZ weder die komplizierte Firmenstruktur noch, ob die Änderung des Geschäftszwecks aus steuerlichen Gründen erfolgte. Sie habe «keinen unmittelbaren Einfluss auf die Erbringung unserer Betreuungsdienstleistungen».

Nachtrag vom 15. Dezember 2011 : Asylgeschäft der ORS hat politische Folgen

Vergangene Woche hat die WOZ aufgedeckt, dass die Firma ORS Service AG im Geschäft mit Asylsuchenden und Flüchtlingen 55 Millionen Franken umsetzt. Jetzt haben die Recherchen der WOZ auch Folgen im Parlament: Die Nationalräte Cédric Wermuth (SP) und Balthasar Glättli (Grüne) bereiten derzeit eine Interpellation vor, in der sie vom Bundesrat Aufklärung über die Geschäfte der ORS verlangen.

In der Zürcher Gemeinde Weiach zieht die ORS gemäss einer Abrechnung, die der WOZ vorliegt, den Asylsuchenden 700 Franken Miete («Nutzung Wohnraum») von der staatlichen Pauschale von knapp 1500 Franken ab. Der Wohnraum ist ein rund zwölf Quadratmeter grosses Zimmer, das sich die Asylsuchenden zu dritt teilen müssen. Den zehn dort wohnhaften Personen werden also im Jahr 84 000 Franken berechnet. Die Gemeinde zahlt dem Hausbesitzer aber laut Rechnung nur «18 000 Franken» Miete (inklusive Unterhaltskosten, die Miete allein beträgt lediglich 6000 Franken). Das ergibt eine Diskrepanz von weit über 60 000 Franken. Die ORS weigert sich auf Anfrage, der WOZ die Differenz zu erklären. Sie weist alle Vorwürfe von sich: «Auch wenn wir versuchen würden, Ihnen gegenüber die Vorwürfe zu entkräften, müssten wir damit rechnen, dass Tatsachen wiederum falsch oder missverständlich dargestellt werden. In diesem Sinne werden wir also keine weiteren Fragen der WOZ beantworten.»

Die Nationalräte Wermuth und Glättli wollen nun vom Bundesrat wissen, warum etwa die Krankenkassenprämie der Asylsuchenden 371,95 Franken kostet, wenn die günstigste Krankenkasse in Weiach nur 255 Franken kostet. Zudem soll mit der Interpellation geklärt werden, wie die Dienstleistungsfirma ORS vom Bund kontrolliert und nach welchen Kriterien die ORS ausgewählt wird.

Die Gemeinde Weiach will die Angelegenheit jetzt «intern abklären». Die WOZ hat beim Bundesamt für Migration (BFM) um Einsicht in Leistungsvereinbarung und Tätigkeitsberichte der ORS AG gebeten. Ob der WOZ Einsicht gewährt wird, ist offen: Die ORS ist eine private Firma und kann dagegen Einspruch erheben.

Carlos Hanimann und Jan Jirát

Was weiter geschah: Nachtrag vom 10.Mai 2012 : «Kostencontrolling» 
für Asylsuchende

Es läuft immer etwa gleich ab, das Demonstrieren in Bern: immer die gleichen Arkaden, mehr oder weniger unfreundliche Polizisten, verwunderte Touristinnen, Bärenfolklore.

Am 5. Mai geht es einmal auf die andere Seite: ins Länggassquartier, zur Zivilschutzanlage Hochfeld, wo die Firma ORS 160 Asylsuchende betreut. Die DemonstrantInnen lärmen mit Pfannendeckeln, singen «Régulariser tous les sans-papiers», manchmal auch einfach «Olé, olé». Diesmal schauen Büezer, Verkäuferinnen und tamilische Familien zu. Manche klatschen. PolizistInnen warten vor der Rampe, die zum Eingang des Bunkers hinunterführt. Unten stehen zwei Familien; zwei kleine Kinder verhauen sich gerade. «Die ORS und der Kanton treiben Schindluderei», sagt Martin van Egmond vom Solidaritätsnetz Sans-Papiers. «Wenn wir ein Anliegen haben, heisst es beim Kanton: Geht zur ORS! Und bei der ORS: Geht zum Kanton!» Als ein Flüchtling sagt: «Die Sans-Papiers wollen arbeiten und Steuern zahlen!», bricht ein Begeisterungssturm los.

Die ORS hat ein Communiqué geschrieben. Darin lobt sie ihre «ausgeprägte Menschlichkeit und Fairness». Sie mache keine Gewinne an den Asylsuchenden, sie erziele ihre Erträge durch «hoch professionalisiertes Kostencontrolling, durch laufende Optimierung ihrer Abläufe und eine sehr effiziente Administration».

Bald wagen sich die Flüchtlingskinder die Rampe hoch. Die Polizei kann die Trennung nicht mehr gewährleisten. Die Kinder bekommen «Kein Mensch ist illegal»-Ballone.
Bettina Dyttrich